Besuch in List, Austernzuchtanlage. Das brusthohe Becken ist bis zur Kante mit Wasser gefüllt. Dicht an dicht stapeln sich darin rote Plastikkörbe, in ihnen Austern, bereits von Schlamm und Bewuchs befreit. Durch ein Rohr ergießt sich Meerwasser über die Tiere, versorgt sie mit Sauerstoff und Nahrung, bis sie auf die Reise gehen – oder zurück auf die Austernbänke, denn die Becken dienen auch als Winterquartier. Insgesamt fünfzehn Bassins befinden sich auf dem Gelände von Dittmeyer’s Austern-Compagnie; hier kümmern sich vier Mitarbeiter täglich um das Wohlergehen der anspruchsvollen Gäste, und das sind bis zu zwei Millionen Stück. „Die Meereswasser-Pipeline ist das Herzstück der Anlage,“ erklärt Bine Pöhner, Geschäftsführerin von Deutschlands einzigem Austernzucht-Betrieb. Seit 2005 sorgt sie dafür, dass Fans in aller Welt ihre Sylter Royal genießen können.

Es ist die zweite große Karriere für das Schalentier, denn die Auster von der nordfriesischen Insel hatte es schon einmal ganz weit gebracht. In Holzfässern verpackt gelangte sie bis zum russischen Zarenhof und an die Tafel der Preußenkönige. Doch das ist lange her. Anfang des vergangenen Jahrhunderts wurden die natürlichen Bestände der Gattung Ostrea Edulis überfischt. Die Neuansiedelung scheiterte an kalten Wintern und zwei für den Menschen ungefährlichen Parasiten, die das Tier am Wachstum hindern und damit auch die Fortpflanzung unmöglich machen. Es sah so aus, als müssten die Gourmets dieser Welt in Zukunft auf die Sylter Auster verzichten. Erst als sich 1986 die Familie Dittmeyer – vielen heute noch in Erinnerung durch die TV-Spots mit Firmenchef Rolf H. Dittmeyer für das Produkt „Valensina“ – mit der Dittmeyer’s Austern-Compagnie in List engagierte, wendete sich das Blatt. Ein Glück für die Austernzucht.

Seither ist viel passiert, wie Bine Pöhner berichtet. Ostrea Edulis wurde durch Crassostrea Gigas ersetzt; die Pazifische Felsenauster ist robuster als ihre Verwandte. Über 90% aller Zuchtaustern zählen heute zu dieser Gattung. Der Nachwuchs kommt mit einem Gewicht von 20 – 30 g zwischen der noch zarten Schale aus einer Nursery in Irland nach Sylt. In diesen Kinderstuben, auch Hatchery genannt, werden die Jungtiere vom Larvenstadium bis zur Mini-Auster herangezogen. Auf Sylt angekommen, beginnt für die meisten ein Aufenthalt von zwei Jahren, in denen sie auf ihr Verkaufsgewicht von 80 g heranwachsen. Zunächst geht es in die Sommerfrische, auf die Austernbänke im Wattenmeer. „Wir haben hier im nordfriesischen Meer eine hervorragende Wasserqualität,“ so die Geschäftsführerin, „mithalten können da nur die Gewässer vor Irland und Schottland.“ 300 Meter vor der Uferkante erstreckt sich bei List eine Anreihung von eisernen Gestellen. Auf diesen so genannten Tischen werden die Säcke mit den Austern fest verzurrt, damit sie nicht von den Kräften der Gezeiten mitgerissen werden. Die Tischkulturen bekommen regelmäßig Besuch – die Austernfischer in Bine Pöners Crew haben in den Sommermonaten so manch anstrengenden Tag vor sich. „Bei ungünstiger Tide haben die Jungs nur 30 Minuten Zeit, um die Säcke mit den Austern zu rütteln.“

Das Rütteln ist wichtig, denn die Tiere sollen sich nicht aneinander festsetzen. Dann können die künftigen Sylter Royal entspannt vor sich hin wachsen und Nahrung aufnehmen, indem sie Mikroorganismen aus dem Wasser filtern. Später im Winterlager geht das süße Leben weiter, sogar mit Sporteinlagen. Dazu wird der Wasserspiegel im Becken gesenkt, was die Auster dazu bewegt, sich zu schließen. „Auf diese Weise trainiert sie ihren Schließmuskel,“ so Bine Pöhner, „immerhin dauert die Reise in die Restaurants bis hin zum Verzehr manchmal 10 Tage – ohne Wasser.“ Die gute Pflege lohnt sich: Die hervorragende Qualität aus Dittmeyer’s Austern-Compagnie sorgt das ganze Jahr hindurch für zufriedene Großhändler und Gastronomen. Weihnachten und Silvester ist die Nachfrage besonders groß; selbst in Dubai und Hong Kong steht die Sylter Royal auf der Speisekarte. Doch auch bei uns hat sie ihre Fans.

All denjenigen, die sich für das Schalentier und seine Zubereitung interessieren, sei die „Austernkunde“ empfohlen. Regelmäßig veranstaltet Bine Pöner Führungen, informiert über Produktion und Verarbeitung. Und darüber, wie sich die kleinen Köstlichkeiten besonders gut genießen lassen.

Jetzt im Sommer sind die Auster besonders lecker – sie haben sich in den letzten Monaten „Speck“ angefressen, sind voller Mineralien und Spurenelemente – und das schmeckt man. Trotzdem ist der Genuss in den eigenen vier Wänden für viele Austernfreunde noch eine Hürde, weiß die Geschäftsführerin. Denn: Das Hantieren mit dem Austernmesser will gelernt sein. Doch sie hat einen Trick parat. Wer sich vor dem Messer scheut, sollte die Austern einfach leicht vordämpfen. Dabei öffnet sich die Schale und sie kann weiter verarbeitet werden – Rezepte dazu gibt es wie den sprichwörtlichen Sand am Meer. Wie wäre es zum Beispiel mit Austerntartar, angereichert mit Schalotten? Oder steht der Sinn mehr nach Petersilie und Koriander? In den letzten Jahren rangieren gratinierte Austern weit oben auf der Beliebtheitsskala. Kräuterbutter, Sahne, Semmelbrösel – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Relativ neu dagegen ist hierzulande der Trend zum Grillen. „Ein Tropfen natives Olivenöl darauf geben, dazu ein Grauburgunder oder ein Rosé – einfach herrlich“, so die Austernexpertin. Auf ihren persönlichen Favoriten bei der Zubereitung angesprochen, ist ihre Entscheidung allerdings eindeutig: „Ganz klassisch und pur, mit einem Spritzer Zitrone.“ Anke Bracht
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